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Kölsch und Kultur an der Ruhr

31. 07. 2022

 

Am 22.7.2022 gegen 9:00 Uhr starteten wir, 13 Mann in 4 PkW, zum Wochenendausflug der TSV-Männergymnastik von Rodenbach in Richtung Essen. Wohlbehalten und trotz unterschiedlicher Routen fast gleichzeitig erreichten wir den Gasthof „Fabritz“. Nach Belegung der Zimmer ging es alsbald weiter zum Baldensee, wo am Seaside Beach unsere Kanufahrt auf dem See und anschließen auf der Ruhr starten sollte.

 

Nun ist Essen nicht Saint-Tropez, doch der Eintrittspreis von 5 Euro pro Person allein für das Betreten des Seaside-Beach-Geländes gab uns das gute Gefühl nicht in einer Billiglocation gelandet zu sein. Weil der Food-Truck geschlossen war oder aus einem anderen unbekannten Grund erhielten wir jedoch wenig später die Hälfte unseres Eintrittsgeldes zurück, wodurch man sich gleich etwas weniger exklusiv verortet fand. Trost spendete zumindest eine Riesenbockwurst mit Brötchen am Kiosk außerhalb oder wahlweise eine Currywurst mit Pommes, deren Menge so reichlich bemessen war, dass selbst an einer Viertel Portion noch einige Riesenbockwurst-Esser teilhaben konnten.


Nach ausführlicher Einweisung und Schwimmwesten-Check samt Korrektur nachlässig festgezurrter Gurte, wurden die Boote zu Wasser gelassen, eine Gruppenformation zwecks Foto gebildet und los ging es. Wer mit dem Ruhrgebiet immer noch Kohle, Stahl und rauchende Schlote verbunden hatte, wurde eines Besseren belehrt. Denn See und Ruhr präsentierten sich bei angenehmen, nicht zu heißem Sommerwetter als beschauliche Ausflugsgewässer mit grünen und fast schon pittoresken Uferstreifen, an denen gepflegte Häuser, kleine Bootshäfen, Biergärten und Rastplätze aufgereiht waren. Die Fahrt auf dem Wasser verlief ruhig, denn auf dem See und der Ruhr gab es kaum Strömung, weswegen Muskelkraft und Ausdauer gefragt waren. Nur einmal mussten die Boote aus dem Wasser gehievt und auf einem Radgestell durch einen Tunnel vom See zum Fluss transportiert werden. Die ersten Boote nutzten diesen „Boxenstopp“, um ihre Führung auszubauen. Dafür hatten die Nachzügler mehr Zeit und Muße, um die Graureiher, Enten, Tretboote und vorübergleitenden Ufer zu betrachten. Am Ziel waren wir alle wieder vereint und fuhren per S-Bahn zurück zum Ausgangsort. Ein Abschluss-Einkehrschwung in die Tiroler Stuben wurde nach kurzer Rücksprache abgesagt, denn schließlich wollten wir pünktlich zum Abendessen im Restaurant „Eule“ sein, welches zu unserem Gasthaus gehörte.


Nach einer erfrischenden Dusche und einem ersten kühlen Bier war die Anstrengung der Bootsfahrt vergessen und wir widmeten uns der Auswahl der Speisen. Die aufmerksame Bedienung wies uns auf ein spezielles Angebot des Tages hin: Ochsenbäckchen mit Serviettenknödeln, Pfifferlingen und Edelkohlrabi. Das Gericht war köstlich, erhielt von unserem Gourmettester allerdings trotzdem nur 7 von 10 Punkten, den er befand die Menge der Pfifferlinge sei zu gering, die Edelkohlrabi wären nicht zwingend erforderlich und vor allem ließen die Serviettenknödel die Individualität des handgemachten Knödels nach Großmutters Art vermissen. Nachdem zahlreiche Gläser Pils, Kölsch, Wein und Killepitsch ihren Abnehmer gefunden hatten, zogen sich die älteren Semester nach und nach zur wohlverdienten Ruhe zurück und überließen die Eule der Jugend, die ab Zehn in das Lokal und an die Tische davor strömte. Aus diesem Grund oder wegen interner Geräuschquellen im Doppelzimmer waren Ohrstöpsel für einen geruhsamen Schlaf hilfreich.


Anderentags versammelten wir uns zu einem reichhaltigen Frühstück im Gastraum und bewunderten die bunten Butzenscheiben der Fenster, durch die das Morgenlicht vielfarbig fiel. Gegen Neun waren wir bereit für den Tag, den man unter dem Motto „Industriekultur an der Ruhr“ zusammenfassen konnte. Zuerst führten uns die Navigationsgeräte unserer vier Fahrer, die bei dieser TSV-Tour gleich mehrfach gefordert waren und dies mit Bravour bewältigten, zum UNESCO Welterbe „Zeche Zollverein“, wo die rührigen Organisatoren eine „Gruppenführung mit Püttgeschichten“ gebucht hatten. An der angeblich längsten Außen-Rolltreppe am Schacht XII empfing uns ein ehemaliger Bergmann mit einem zünftigen „Glück Auf“. Den Rundgang durch die oberirdischen Anlagen der Zeche würzte unser Führer durch zahlreiche Anekdoten über Lehrlinge, cholerische Chefs, „frauenfeindliche“ Werkzeugnamen (Stichwort „Weiberarsch“), schwerste Arbeitsbedingungen und derbe Streiche, welche bei PC- und Gender-Jünger*innen leicht zu Hyperventilation oder Schnappatmung hätten führen können. Doch da wir derselben Alterskohorte angehören, fanden die humorvollen Ausführungen des 80-Jährigen rüstigen Kumpels in uns dankbare und amüsierte Abnehmer.


Noch heute beeindrucken die für die Besucher herausgeputzten und zugänglich gemachten Industriebauten durch ihre schiere Größe und die düstere Stahl- und Ziegelarchitektur, in deren Innerem man sich fühlt wie in einem gigantischem Organismus, der in ewigen Schlaf gesunken ist. Wie ein Echo aus vergangener Zeit lassen aufgezeichnete Geräusche, Animationen und bildhafte Erzählungen die Vergangenheit aufflackern und uns mitunter wohlig erschauern wie beim Besuch einer mittelalterlichen Folterkammer. Denn wir spüren nicht die enorme Hitze, schmecken nicht den Kohlenstaub, riechen keinen Schweiß und halten die schweren Presslufthämmer lediglich für das Erinnerungsfoto einen Augenblick lang in den Händen.

 

Am Ende geht es zu Fuß oder per Fahrstuhl hoch hinaus auf das Dach der Kohlenwäsche, wo sich unter einem blauen Himmel die zum Kulturpark wandelnde Industrielandschaft kilometerweit bis zum Horizont erstreckt. Die Surrealisten unter den Malern hätten ihre Freude an diesem Anblick gehabt. Rotbraune Schornsteine, rostige Fördertürme und verschlungene Anlagen ragen aus einem Meer aus Grün, das mit seinen Bäumen, Büschen und Ranken die Industriebrachen und Halden zurückerobert. Unermüdlich erläutert uns der alte Bergmann die Details des Panoramas und die stummen Zeugen einer vergangenen Epoche, deren Zeit vorbei ist und die nur noch in seiner Erinnerung lebt. Doch die Besucher auf der Plattform, die neben den Stahlgiganten wie Jonathan Swifts Liliputaner wirken, müssen nach vorn blicken, denn Gulliver kehrt nicht zurück.


Nach kurzer Rast im Bistro der Zeche ging es weiter zum Landschaftspark Duisburg Nord, einem weiteren imposanten Industriedenkmal, dessen stillgelegte und begehbare Hochöfen an die Stahlerzeugung im Ruhrgebiet erinnern. Das Gelände war gut besucht, nicht zuletzt wegen eines Kunsthandwerk-Marktes, und entsprechend voll erwiesen sich die Parkplätze und lang die Wege zum Eingang. Manch einem steckte zudem die Führung am Vormitttag noch in den Knochen, so dass es jedem selbst überlassen war, ob er das Parkgelände lang und intensiv erkunden wollte oder sich zeitnah zum Sammelpunkt, einem Biergarten in der Nähe des Eingangs, begab. Wer allerdings den Hochofen Nr. 5 bis zur Aussichtsplattform erklomm, erlebte das rostige Ungetüm mit seinen Rohren, Behältern, Ventilen, Seil- und Kurbelrädern hautnah und konnte auf Schritt und Tritt ungewöhnliche Perspektiven und Bildmotive finden. Und zudem wurde er am Ende des Aufstiegs durch einen phantastischen Rundblick in ca. 80 Meter Höhe belohnt.


Voll mit außergewöhnlichen Eindrücken kehrten wir am späten Nachmittag zum Gasthof zurück, der ebenfalls voll war bis vor den Eingang, denn Fans von Rot-Weiß-Essen hatten sich in der „Eule“ versammelt, um die Last der 1:5 Niederlage des Vereins bei hinreichend Kölsch gemeinsam zu tragen. Zum Glück wollten wir heute im nur sieben Gehminuten entfernten Gasthaus Ampütte zu Abend essen, wo man uns im Innenraum einen großen Tisch reserviert hatte.


Die Portionen fielen mehr als reichlich aus und es gab ein spezielles stark malzhaltiges und leicht rauchiges Bier, das allerdings meinem Fahrer nicht so recht schmeckte. Da er aber schon vorher angekündigt hatte, heute wegen der morgigen Heimfahrt nicht so viel Bier zu trinken, war es für ihn eine ausgezeichnete und geradezu raffinierte Wahl. Denn ein nicht schmeckendes Bier ist der beste Garant, um wenig zu trinken. Spinnt man diesen Gedanken weiter, ergeben sich ganz neue Methoden, um abzunehmen. Low Carb und Low Fat Diäten waren einmal. Es lebe die No Taste Diät! Ich sehe vor meinem geistigen Auge schon neue Kochbücher wie „Schlecht kochen leicht gemacht“, „Schlecht essen, aber gut!“, „Kochen wie im Bahnhofseck“. Aber Spaß beiseite, die Low Taste Diät bleibt hoffentlich nur eine Fiktion, denn die Realität ist auch so schon abnorm genug. Selbst ein Rucksack kann sich plötzlich in Luft auflösen und ist unauffindbar, um später wie durch Geisterhand oder Teleportion im Zimmer des Gasthofs zu materialisieren. Böse Zungen bestreiten diese einleuchtende Erklärung und glauben, ungeachtet der festen Überzeugung und Versicherung des Sportfreundes, den Rucksack mitgenommen zu haben, dass er diesen gar nicht dabei hatte. Aber so sind die Menschen, sie ignorieren klare Fakten und glauben den größten Blödsinn.


Anderntags schien wieder die Sonne und die Mysterien der Nacht waren spätesten dann vergessen als das letzte kulturelle Ziel unseres Ausflugs, das Folkwang Museum in Essen, erreicht war. Der weiße, kubische und lichtdurchflutete Bau beherbergt rund 600 Werke des 19. Jahrhunderts, der Moderne und der  zeitgenössischen Kunst, zahlreiche Skulpturen sowie tausende Grafiken und Fotografien. Das Folkwang Museum wurde 1902 in Hagen eröffnet und fand später seinen Weg in einen Neubau nach Essen, der 2009 um einen sich harmonisch einfügenden Anbau erweitert wurde. Schon frühzeitig besaß das Museum Werke des Impressionismus, Expressionismus und Surrealismus, die heute Preise von zig Millionen Euro erzielen würden, während zahlreichen Künstlern die gebührende ideelle und materielle Anerkennung zu Lebzeiten versagt blieb. Denn wie bemerkte schon Wilhelm Busch treffend: „Leicht kommt man an das Bildermalen, doch schwer an Leute, die’s bezahlen“.


Beeindruckt von der Reichhaltigkeit der Ausstellung, umfangreich informiert durch die kompetente Museumsführerin und ausgestattet mit ein paar praktischen Erkenntnissen ließen wir das Museum zurück. Da wir gelernt hatten, dass die Farbe Rot die Menschen aggressiv machen kann, wohingegen das komplementäre Grün diesen Effekt zu neutralisieren vermag, flankierten wir am Mittagstisch des „Brauhauses Alter Bahnhof Velbert“ den Sportkameraden mit einem roten Sweatshirt durch zwei grün gekleidete Kameraden. Gegen die aufdringlichen Wespen half diese Vorsichtsmaßnahme leider nicht. Hier konnten nur der Wespinator und der Spraywaterman für Ruhe sorgen.


Das gute Essen und ausreichend Getränke gaben den Mitfahrern das notwendige Ruhebedürfnis für das eine oder andere Nickerchen und den Fahrern die erforderliche Kraft für die Heimfahrt, die am späten Nachmittag alle wohlbehalten in Rodenbach ankommen ließ. Und wieder war ein schöner Ausflug der TSV-Männergymnastik vorbei, prall voll von Erlebnisse und mit Überraschungen bis zuletzt. Denn die Organisatoren hatten zum Ende des Abschlussessens verkündet, dass quasi als i-Tüpfelchen alle Getränke von der Kasse übernommen werden.


Mit diesem selbstlos gemachten Vermerk

Schließen wir freudig das löbliche Werk.

 

Günther Meinhold

 

 

Bild zur Meldung: Kölsch und Kultur an der Ruhr